Die Verschwörung
des Virtuellen Kunsthandwerks
Das Kunsthandwerk existiert schon seit Menschengedenken.
Man möge an afrikanische im Lagerfeuer gebrannte Töpfe
denken, an den goldenen Schmuck der Incas, oder der alten Ägypter,
das Glas der Phönizier oder Assyrer. Man könnte auch andere
nennen: die alten Griechen, die Römer, die Etrusker, die Wikinger,
usw. Im Grunde haben sich die Herstellungsmethoden des Kunsthandwerks
seit diesen Zeiten nicht geändert. Aber die gesellschaftlichen
Zusammenhänge des Kunsthandwerks sind immensen Verändeungen
ausgesetzt - angefangen bei dem lebensnotwendigen Kunsthandwerk
primitiver Völker, zur Ästetik der alten Griechen, vom
Handwerk des Mittelalters hin zur Wiederbelebung (craft revival)
des Kunsthandwerks im 19. Jahrhundert, bis hin zum Studiokunsthandwerker
des 20. Jahrhunderts. Wenn man aber die Techniken betrachtet, sieht
man, daß sich
wenig geändert hat. Töpfe werden in Öfen gefeuert,
Glass wird erhitzt und mundgeblasen, Metalle werden gehämmert,
Holz gedrechselt usw. Die Erscheinung von Strom und damit elektrischer
Drehscheiben, Brennöfen und Drehbänken hat wenig Einfluß
auf das Wesen des Kunsthandwerks gehabt - das unmittelbare Wirken
unserer Hände auf das Material.
Die wichtigste revolutionierende technologische
Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war
die Erfindung der elektronischen Datenverarbeitung. Nun leben wir
in einer Informationsepoche. Die Verarbeitungskapazität wächst
und Computertechnologie wird zugänglicher. Die ersten Computer
kosteten Millionen und hatten weniger Kapazität als die heutigen
Palmtops. Heutzutage kann der Durschschnittsbürger einen Computer
mit gröerer Verarbeitungskapazität kaufen, als urprünglich
in der MIR Raumstation installiert war. Dank dieser Verbreitung
und Zugänglichkeit von Computern, kommen auch immer mehr Kunsthandwerker
damit in Kontakt, und suchen nun Wege, dieses neue Werkzeug in ihren
Werken zu integrieren. Das Resultat ist eine neue Form des Kunsthandwerks:
das Virtuelle Kunsthandwerk.
Was ist das Virtuelle Kunsthandwerk? Man
denkt zunächst an CAD/CAM (Computer Aided Design/ Computer
Aided Manufacturing). CAD/CAM ist schon seit Jahrzehnten ein Bestandteil
des industriellen Designs. Viele Keramiker haben sich dessen bedient,
manche davon recht erfolgreich. Man könnte CAD/CAM als eine
Stufe zwischen dem Kunsthandwerk und dem Virtuellen Kunsthandwerk
ansehen. Aber beim Virtuellen Kunsthandwerk handelt es sich
nicht nur um das Einsetzen von Computern zur Unterstützung
der industriellen Produktion. Das Virtuellen Kunsthandwerk
ist eine neue Kreuzung, die Kunst, Handwerk und neue Technologien
miteinander verbindet. Ein Beispiel davon ist das Rendern von Virtueller
Keramik mit 3D Formgebungsprogrammen. Die entstehenden Bilder, der
virtuellen Realität zugehörend, haben ihre eigene Daseinsberechtigung.
Da wir uns im virtuellen Raum von den Ketten der materiellen Welt
befreien können, können wir bisher unmögliche Faktoren
in unsere Arbeiten miteinbeziehen. Die Möglichkeiten die Schwerkraft
auer Gefecht zu setzen, mathematische Formeln anzuwenden, verschiedene
virtuellen Oberflächen zu schaffen, historische, kartographische
oder andere Daten miteinzubeziehen, Stereobilder, Animation, Morphing
oder Web Seiten herzustellen, geben uns eine neue Reihe Werkzeuge,
womit wir das Kunsthandwerk betrachten und neu interpretieren können.
Damit erlangt das Kunsthandwerk eine neue Dimension und tritt in
die Welt der reinen Information (information space).
Das Virtuelle Kunsthandwerk kann in den
virtuellen Räumen des Bildschirmes oder des Internets existieren.
Mit Virtual Reality Modeling Language (VRML) kann man virtuelle
Welten schaffen, die man mit virtuellen Objekten ausschmückt.
Solche Szenen, z.B in der Form von Quicktime Movies, können
dazu benutzt werden, Objekte zu visualisieren, unseren Horizont
in Hinsicht Kunsthandwerk zu erweitern, oder um neue Ideen anzuregen.
Bald werden wir mit Hilfe von Datenhandschuhen und -brillen durch
virtuelle Gallerien wandern und dabei nicht nur virtuelle Kunsthandwerksobjekte
sehen, sondern sie auch halten und fühlen können.
Das Virtuelle Kunsthandwerk kann sich auch
in der Form von materiellen Objekten ausdrücken. Wir können
Bilder unserer Keramik einscannen, Formen und Oberflächen manipulieren,
Teile miteinander verbinden oder etwas wegnehmen usw. Die daraus
resultierenden Bilder können dann mit traditionellen Mitteln
materialisiert werden, z.B. durch das Drucken von Abziehbildern.
Man kann auch einen Schritt weiter gehen und industrielle Techniken,
wie Stereolithografie oder die Selektive Laserverschmelzung, zum
Materialisieren eines Objektes anwenden.
Viele Kunsthandwerker und auch andere werden dieses
neue Virtuelle Kunsthandwerk ablehnen oder gar lächerlich
machen. DasVirtuelle Kunsthandwerk wurde schon als Hirngespinst
einiger Computerfreaks abgetan. Aber vor 50 Jahren hätte kaum
jemand geglaubt, da wir eines Tages auf dem Mond spazieren gehen
würden. Vor ein paar Jahren traf ich einen Töpfer, der
auf dem Land lebte und arbeitete. Er sagte mir allen Ernstes, da
Keramikstudenten und -künstler ihre Lehrbücher verbrennen,
ihren Ton selbst aus der Erde schaufeln und ihre eigenen Glasurrezepte
ausarbeiten sollten. Natürlich hat der angedeutete Lebenstil
eine gewisse romantische Anziehungskraft, aber viele können
in der heutigen Zeit einen solchen Lebensstil nicht mehr akzeptieren.
Man sollte nicht glauben, da es sich hier nur um die Hirngespinste
einiger Kunsthandwerker, die sich in Computerfreaks verwandelt haben,
handelt. Es gibt eine aktive, relativ kleine, aber ständig
wachsende Gruppe von Leuten in verschiedenen Teilen der Welt, die
in dieser neuen Sparte arbeiten. Um diese Kunsthandwerker, Lehrer,
Kritiker und andere Interessierte zusammenzubringen, wurde Ende
1997 das online Forum Intersect - International Society for Electronic
Craft Transformation (Internationale Gesellschaft der Elektronischen
Verwandlung des Kunsthandwerks) geschaffen. Intersect hat es sich
zur Aufgabe gemacht, die Entwicklungen im Bereich des Virtuellen
Kunsthandwerks zu recherchieren und die Ergebnisse an alle Interessierten
zu verteilen. "Heutzutage kann der Kunsthandwerker Programmierer,
und der Programmierer Kunsthandwerker sein; was interessant ist,
ist die Überlappung dieser beiden Bereiche, die dem Kunsthandwerk
im dritten Jahrtausend neues Leben einflöen wird". (Intersect
Manifest, Dezember 1997)
Die Philosophie, die hinter dieser neuen Form des
Handwerks steckt, beruht nicht nur auf CAD/CAM. Wenige der enstehenden
virtuellen Modelle wären für die industrielle Produktion
geeignet. Beim Virtuellen Kunsthandwerk geht es nicht darum,
den Computer als eine weitere Designhilfe anzuwenden. Es geht vielmehr
darum, die neuen, zur Verfügung stehenden Technologien auszunutzen,
die Anwendungen des traditionellen Kunsthandwerks zu erweitern und
neue, bisher ungeahnte Handwerksobjekte, Methoden und Stile zu schaffen.
Es gibt "eine echte Gelegenheit für den digitalen Künstler
die Samen für Mutationen und Veränderungen zu säen.
Es ...kommt darauf an, da; das digitale Sein, nicht nur das Endprodukt,
sondern auch den Prozeß vermittelt. Dieser Proze kann
die Phantsie und Ekstase eines Einzelnen, die vereinte Vorstellung
mehrerer, oder die Vision einer revolutionären Gruppe sein".
Es ist unvermeidlich, da das Kunsthandwerk von der Technologie der
jeweiligen Zeit beeinflut wird. Die Arbeiten der Virtuellen Kunsthandwerker
mögen noch für eine Weile wie die vom Salon des Refusés
behandelt werden. Das Kunsthandwerk wird auch durch Handweben, Drehen
auf fubetriebenen Töpferscheiben usw. weiterleben, aber man
kann sicher sein, da es eine immer stärkere virtuelle Indentität
annehmen wird.
Gibt es eine Verschwörung des Virtuellen
Kunsthandwerks? Nein, die Virtuellen Kunsthandwerker
sind keine Verschwörung eingegangen, um das traditionelle Kunsthandwerk
zu abzutöten. Es spricht keiner davon, das tradtionelle Kunsthandwerk
mit industriellen Techniken des 21. Jahrhunderts zu ersetzen. Die
Resultate der Industrialisierung des Kunsthandwerks kennen wir schon
in der Form von Plastik- und Styroporbechern...
Das Kunsthandwerk wird nicht sterben, zumindest
nicht aufgrund der Ideen des Virtuellen Kunsthandwerkers. Eine
andere Frage ist, was wir von der Wissenschaft zu erwarten haben.
Es wird eine Zeit kommen, wo wir, Star Trek ähnlich, ein Handwerksobjekt,
sagen wir mal eine Gropius Teekanne, von einem 'Handwerksreplikator'
wählen werden können. Solch eine Maschine wird die Moleküle
in der Luft neu anordnen, um das gewünschte, einprogrammierte
Objekt vor den eigenen Augen zu materialisieren. Phantasie? Mit
der Entwicklung der Nanotechnologie und Laserverschmelzung bewegen
wir uns schon in diese Richtung.
Dann werden wir wirklich die Rolle des Kunsthandwerkers
neu beurteilen müssen.
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