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Martin Schlotz - Gefäße
Walter H. Lokau

Martin Schlotz' Gefäße entstehen auf der Töpferscheibe. Allerdings liegen ihm verklärende Aspekte dieser traditionellen Arbeitstechnik – eine vorgeblich in unsauberen Spuren oder anachronistischen Imitationen zum Ausdruck kommende Wahrheit der Hand, des Materials, des Verfahrens, der Geschichte usw. – oder Manierismen modischer wie technischer Art ganz fern. Ihm geht es um das Problem moderner Gefäßkeramik überhaupt: Die Suche nach der aus sich selbst entwickelten und ihrer Zeit gemäßen Form des Gefäßes jenseits seiner Zweckbestimmung. Als bewußter Erbe einer schon jahrzehntelangen Entwicklung moderner Keramik gelangt er in seiner rücksichtslosen Besinnung auf die Sache des Gefäßes zu unverwechselbar radikalen Gestaltungen, die in der Konsequenz ihrer formalen Modernität keiner Anleihen oder Zitate bedürfen: „Sie sind Gefäße ohne spekulative Anbiederung“ – eine glücklich-polemische Formulierung Volker Ellwangers, mit der dieser das Werk seines Lehrers Jan Bontjes van Beek einst charakterisierte, die aber nicht weniger auf sein eigenes Schaffen und a fortiori auf die Arbeit seines Schülers Martin Schlotz zutrifft.

Martin Schlotz arbeitet in thematischen Reihen. In Variationen wird ein bestimmter Formtyp von Gefäß durchgearbeitet: Exakt gedrehte, kräftige Turmformen aus Steinzeugton auf breiter Standfläche, in hart umbrochener Gliederung hochgebaut, oder starkwandige Schalen von ebenfalls deutlich tektonischem Bau, auf engem Fuß zu ausladendem Volumen erweitert, hochrandig weit geöffnet. Die ideelle Ausgangsform ist meist der Zylinder, der – ins Konische verjüngt oder geweitet, selten sacht gewölbt – Stufe um Stufe in solchen Modulationen aufeinandergefügt, komponiert wird, wiewohl die Arbeiten niemals aus einzelnen Teilen montiert werden. Dem Primat der Form zum Trotz herrscht hierbei kein fertiger Entwurf, kein Bauplan. Die durchaus unelegante, manchmal fast technoide Strenge der autonomen Form täuscht über die gelassene, fast spielerische Offenheit ihrer Entstehung hinweg: Im Moment des Entstehens leitet einzig das ästhetische Urteil die zu treffenden Entscheidungen. Der Winkel der Öffnung oder der Schließung des Rundes, die Schärfe eines Umbruchs, die Höhe eines Abschnittes, die Proportionen der Partien zueinander... – all dies augenblicklich Schritt um Schritt zu bestimmen bleibt dem Gefühl überlassen, das am Ende die Gesamtform – fremd mitunter auch dem, der sie gemacht – gutheißen kann oder sie verwerfen muß. Die Variation zeugt von der Unabschließbarkeit des Problems: Das absolute Gefäß wird nie und nimmer.

Die entstandenen Formen werden ihrer Anmutung entsprechend monochrom mit Glasur überfangen, selten jedoch zur Gänze bedeckt. Schräg geführtes Tauchen der geschrühten Gefäße läßt den Scherben im Fußbereich oftmals offenliegen. Indem die einzelnen Varianten unterschiedliche Bedeckung mit derselben Glasur erfahren, wird dem Maß von Verhüllung und Blöße der Form nachgespürt: Weniger kann hier mehr, sehr wenig alles sein. Martin Schlotz setzt die verschiedenen Glasuren so souverän als nur möglich ein: Jahrelang erarbeitete und akkurat aufgezeichnete Versuchsreihen erlauben ihm den Zugriff auf ein reiches Repertoire der heiklen Materie, die im Reduktionsbrand gern ein undankbares Eigenleben führt. Die immer ruhige, oft von delikatem, ihrer Dicke wegen in die Tiefe springendem Craquelée durchzogene und manchmal mit reoxidierten Flächen feuerbeleckte Glasur wird niemals Effekt oder Selbstzweck: Opak oder luzide, matt oder glänzend, dick oder dünn aufgetragen, unterlegt mit Engobe oder eingefärbt – Glasur steht im Dienst der Form. Für das Verhältnis von Form und Glasur gilt wiederum, daß es in seiner Wirkung nicht letztlich vorhersehbar ist. Auch beim Glasurauftrag folgen Arbeitsentscheidungen lediglich einer nie zu Regel und Rezept gerinnenden Ästhetik. Erst das durch den reduzierenden Brand bei 1300°C im Gasofen gegangene Gefäß offenbart vollends die Richtigkeit dieser Entscheidungen oder erweist seine Ungeratenheit. Schönheit ist nicht zu machen: Sie ist ein Geschenk.

Neben den glasierten Steinzeuggefäßen beschäftigen Martin Schlotz in den letzten Jahren Arbeiten aus selbstaufbereiteten, schwer zu verarbeitenden Porzellanmassen. Schamottiert und eingefärbt, graurosa oder olivgrün, bleibt deren Oberfläche unglasiert. Nur horizontale Bänder von dunklen Engoben oder hellen Porzellanauflagen gliedern diese Arbeiten, setzen einzelne Partien des Gefäßes voneinander ab oder vermitteln über Umbrüche in der Silhouette hinweg. An mancher Arbeit wird ein Gefäßabschluß aus reinweißer Porzellanmasse auf den schamotte-rauhen Körper aufgedreht. Aus diesem Ineinander von Form und Farbe erwächst eine immense Steigerung kompositorischer Komplexität der ja einfach erscheinenden Gefäße. Die Komposition aus der Form eines Gefäßes und seiner konzeptuell-materialen Farbigkeit muß sich ergeben aus den ungeheuerlich vervielfachten Möglichkeiten der Zusammenstellung der vermeintlich beschränkenden formalen und chromatischen Elemente: Der scheinbar minimierte Spielraum dehnt sich in die Unendlichkeit der Nuance. Die Abfolge der Arbeitsentscheidungen, deren Ergebnis das schließlich da-stehende Gefäß ist, bleibt diesem bei genauer Betrachtung durch all seine Schärfe und Exaktheit hindurch ablesbar – seltsam ahnbar aber wird zugleich eine Unzahl anderer möglich gewesener Abfolgen von Entscheidungen, eine Unmenge nun eben nicht da stehender Gefäße. Gerade durch ihre so unerbittlich hart, schier notwendig scheinende Entschiedenheit hindurch erzittern die Gefäße von Martin Schlotz vor offenkundiger Unwahrscheinlichkeit: Aufforderung jetzt an unser ästhetisches Empfinden, die einzelne Form zu beurteilen – sie kritisch auswählend im Geiste zu berichtigen – oder sie ausschließlich begeistert zu lieben in ihrer bewundernswert folgerichtigen Eigenlogik.

Walter H. Lokau, Berlin

Copyright Walter H. Lokau und Museum Eckernförde, Dr. Beitz


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